„A Trumm Haus“
„Des is a Trumm Haus“, denke ich, als ich die Villa Hügel groß und breit vor mir liegen sehe. Das hätte zumindest meine bayrische Großmutter gesagt.
„A Trumm“ bedeutet „von außerordentlicher Größe“, und das ist dieses Gebäude wirklich, denn es besteht aus dem Haupthaus, genannt Großes Haus, einem Verbindungstrakt und dem sogenannten Kleinen Haus, was einer Größe von 8.100 Quadratmetern und 269 Zimmern (!) entspricht, also definitiv „a Trumm“!
„Beeindruckend“ ist das zugehörige Adjektiv, das mir sofort in den Sinn kommt. Beeindruckend groß und vor Macht und Wohlstand strotzend gewissermaßen, gelegen auf einem Hügel direkt oberhalb des Baldeneysees in Essen-Bredeney, thronend wäre wohl der passendere Ausdruck.
Stil
Stilistisch lässt sich die Villa laut Denkmalbehörde folgendermaßen einordnen: „Eine an Viktorianische Vorbilder angelehnte klassizistische Formensprache.“
Nun, die ist tatsächlich zu erkennen.
Säulen sind vorhanden, eine Schlichtheit der Fassade, geometrische Formen, und es gibt sogar eine balkonähnliche Brüstung. Zudem obenauf ein gläsernes Belvedere, das eine schöne Aussicht ermöglicht, wobei diese Funktion möglicherweise gar nicht genutzt wurde, denn es gibt keine direkte Verbindung vom Belvedere zu den Gesellschaftsräumen der Villa. Vielleicht diente das Belvedere „nur“ der Belichtung der „Oberen Halle“. Schön anzusehen ist es allemal.
Eine Halle als Empfangsraum
Innen werde ich von dem Ausmaß der „Unteren Halle“ schier erschlagen. 400 Quadratmeter groß ist sie und eingefasst in viel dunkles Holz, was eigentlich gar nicht mehr unseren heutigen ästhetischen Anforderungen entspricht, die nach Helligkeit und Licht verlangen. Und dennoch eindrucksvoll: eine Halle zum Empfangen und Repräsentieren, wie ich von der Dame, die uns durch das Haus führt, erfahre. Riesige Gemälde mit Portraits der Familie Krupp hängen hier, ein ebenso imposanter Kronleuchter und historische Möbel umsäumen den leeren Innenraum.
Allerdings wurde das Gebäude im Laufe der Zeit zahlreiche Male umgebaut. Der Zustand, den wir heute sehen, entspricht nicht dem ersten, ursprünglichen, von „Bauherrn“ Alfred Krupp persönlich mit Hilfe eines Architekten geplanten Zustandes. Holz mochte er aufgrund seiner Angst vor Feuer nämlich überhaupt nicht. Die dunklen Holzvertäfelungen (die im ganzen Haus zu finden sind) stammen also von anderen Nachfahren.
Führung „Nie gesehene Räume“
Es ist ein sonniger Nachmittag im März und ich habe einen Platz in der begehrten Führung „Nie gesehene Räume – Die geheimnisvolle Schranktür –Versteckte Räume im Kellergeschoss: „Küche, Schwimmbad, Chinaraum“ ergattert. Eine Besichtigung, die zum 150. Jubiläum der Villa Hügel angeboten wird, aber bis auf Weiteres ausgebucht ist.
Fotos von diesen unteren Räumen zu machen ist strengstens verboten, ebenso etwas anzufassen, mitzunehmen oder zu essen, klärt uns die Gästeführerin auf. Ich fühle mich wie eine Auserwählte, gehöre ich doch zu den scheinbar nicht sehr zahlreichen Menschen, die diese Räume je zu Gesicht bekommen.
Tresorraum
Über die Bibliothek, die für alle Besucher zugänglich ist, gelangen wir in den Keller zu einem Tresorraum, in dem heute ein Teil des Archivs untergebracht ist. Die uralte dicke Stahltür (ein Novum damals) ist verzogen und fällt möglicherweise eines Tages für immer zu, erzählt die nette Dame. Hoffentlich betreten wir nicht den Raum dahinter, denke ich beklommen und halte mich ein bisschen abseits. Deshalb liegt hier unten vor der Tür auch immer ein Keil, erklärt die Gästeführerin lächelnd, als hätte sie die Angst auf meinem Gesicht gelesen.
Chinaraum
Doch für mich persönlich interessanter ist der Chinaraum, der ganz in Schwarz und Rot gehalten ist. Wohin man blickt: Drachenköpfe und sonstiges Schlangengetier. Freilich nur als Schnitzereien, keine Sorge. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hat sich diesen Raum als Aufbewahrungsraum für seine Asiatika einrichten lassen (Asiatika: Kunst und Kleinkunst aus Asien). Auch dieser Raum ist nicht mehr originalgetreu. Die Alliierten haben hier nach 1945 eine Theke einbauen lassen, welche dem Raum eher das Flair eines chinesischen Restaurants verleiht.
Ursprünglich gedacht war es als eine Art Museumsraum für die Asiatika. Das Spezielle daran sind die an den Wänden eingearbeiteten original chinesischen Holztüren, sicherlich sehr wertvoll.
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der die Enkelin Alfred Krupps, Bertha Krupp, 1906 geheiratet hat, hat eine Zeit lang in China gelebt, er war im diplomatischen Dienst tätig. Offenbar haben ihm die Kunst und das Kunsthandwerk dort sehr gut gefallen.
Das Highlight: Jugendstil-Schwimmbad
Das Jugendstil-Schwimmbad, weswegen ich eigentlich hier bin, ist eine reine Augenweide: Die Farbe der Fliesen, ein Grün-Türkis, das wie der Ozean schimmert; eine zufrieden lächelnde Putte, die über dem Wasserbecken thront; am Rande Duschkabinen und geschwungene Waschbecken, die mich sofort an den Jugendstil in Brüssel erinnern… Das alles lässt mich innerlich „Ah und Oh“ schreien. Sofort frage ich mich, ob ich meine Wohnung irgendwie mit mehr Details dieser Art ausstatten kann: Die Türbeschläge austauschen, Jugendstil-Fliesen einbauen, ein Waschbecken dieser Art besorgen… Was wäre das herrlich, diesen Anblick täglich zu erleben! Aber das ist in einer Mietwohnung natürlich alles nicht ohne Weiteres möglich.
Jugendstil in echt zu sehen: ein Highlight für mich. Jedes Mal bin ich ergriffen von der Schönheit dieses Stils.
Das Florale, das Geschwungene, das Dekorative strahlt für mich eine Feminität aus, während all das, was hier in der Villa in dem Geschoss über uns zu sehen ist: dunkles Holz, Wandteppiche, massive Schreibtische, kompakte Sessel eher etwas Männliches ausdrücken.
Schönheit scheint tatsächlich ein Wert zu sein, denke ich versonnen beim Anblick der geschwungenen Wasserhähne, auch wenn ich das irgendwie seltsam finde, aber das Erlebnis von Schönheit ist für mich durchaus real. Und immerhin zählte schon in der Antike das Schöne neben dem Wahren und Guten zu den obersten Werten.
Die „maximalistische“ Küche
Wir gelangen in einen Neben-Küchenraum, der relativ unspektakulär ist, bevor wir zu einem weiteren Highlight kommen: die Küche, die an „Maximalismus“, wie wir es heute vielleicht nennen (zumindest habe ich den Begriff neulich in einer Wohnzeitschrift gelesen), für damalige Verhältnisse kaum zu überbieten ist. Suppenkellen so groß wie Fußbälle! Ein riesiger Herd mit einem Wasserbad, alles auf dem neuesten Technikstand von damals, alles überdimensioniert und gedacht für die zahlreichen Besucher, allen voran Kaiser Wilhelm II., der mit einer Entourage von 50 Personen, seinen Lieblingshunden usw. anzureisen pflegte. Über 500 Bedienstete arbeiteten zeitweise in der Villa, um die illustre Gästeschar zu bewirtschaften.
Der Park

Auch sie mussten versorgt werden. Deshalb gab es einen eigenen Bauernhof zur Selbstversorgung, einen Reitstall und zahlreiche andere Nebengebäude, die leider abgerissen wurden in den 1950er-Jahren. Den freien Blick auf die Villa, so wie wir ihn heute vom Eingang aus erleben, gab es damals nicht.
Dafür wurden einige der Bäume, die wir heute noch sehen: Buchen, Platanen, Eichen, Tannen und Fichten,- von Alfred Krupp quasi persönlich angepflanzt. Da er schon 60 Jahre alt war und seinen Park noch genießen wollte, ließ er ausgewachsene Bäume mit Hilfe eines Spezialwagens herankarren, was zur damaligen Zeit in dieser Art vor allem in Frankreich so gehandhabt wurde und er nachahmte, in dem er eigens diese Wagen bauen ließ. Die Nachfahren Alfred Krupps bereicherten den Garten der damaligen Mode entsprechend mit nicht-einheimischen Pflanzen. Die sogenannte „Rhododendrenschlucht“ ist seit 1936 dokumentiert.
Alfred Krupp, der Unternehmer mit Erfindergeist
Ich bin überwältigt von dieser wahnsinnigen Organisations- und Arbeitsleistung. Ein solch großes Haus zu führen, zur damaligen Zeit wohlgemerkt, ohne Computer und ohne die vielen technischen Errungenschaften, die wir heute besitzen, was muss das eine Arbeit gewesen sein. Dazu das riesige Unternehmen Friedrich Krupp AG… das führte sich auch nicht von alleine.
Alfred Krupp, der Krupp, der mit der Erfindung des nahtlosen Radreifens für den Aufstieg der Firma verantwortlich war, war eine Art „Kontrollfreak“, erfahre ich noch. Er schrieb zahlreiche Regelwerke für die Angestellten und alle mussten sich daranhalten. Das ging sogar bis zur Gesinnung.
Nun, dass man Regeln braucht, um das alles am Laufen zu halten, erscheint mir logisch nachvollziehbar. Ob die Gesinnung auch dazu gehören muss…
Bedeutet eine riesige Villa automatisch Glück?
Waren sie hier glücklich? wirft die Gästeführerin noch die Frage auf. Alle schweigen. Nein, sagt sie. Sie waren nicht glücklich. Alles war Repräsentation, nie war man privat. Die Kinder mussten Disziplin lernen und standesgemäßes Auftreten, das war das Wichtigste. Für Alfred Krupp war die Firma alles, die Familie stand eindeutig dahinter. Wieder schweigen alle.
Automatisch taucht in mir die Frage auf: Hat sich das denn gelohnt? Hört sich nach sehr viel Stress an und privatem Unglück gewissermaßen. Andererseits können wir hier heute die schöne Villa und den fantastischen Park bewundern… Und haben nicht auch zahlreiche Menschen davon profitiert, als Angestellte ein Auskommen gefunden, was sie sonst nicht gehabt hätten?
Der Krupp-Prozess in Nürnberg 1947
Als die Führung zu Ende ist, höre ich, wie ein älterer Herr seinem Sohn von den Waffen erzählt, die die Firma Krupp hergestellt hat.
Ein komisches Gefühl, dass der Reichtum dieses Hauses zum Teil darauf beruht, dass Waffen hergestellt wurden, mit denen Menschen in vielen Kriegen erschossen wurden… Ist das alles überhaupt moralisch vertretbar, frage ich mich. Dass ich hier entlanglaufe und „Ah und Oh“ denke?
Und dann gibt es da ja auch noch die Zusammenarbeit mit den Nazis, den Krupp-Prozess, Verurteilungen wegen Sklavenarbeit und Plünderungen.
Leider habe ich heute keine Zeit mehr für das Kleine Haus, in dem die Familiengeschichte dargestellt wird und damit vermutlich auch die Firmengeschichte.
Aber: Fortsetzung folgt.

Anfahrt: Bequem mit der S6 von Köln-Hbf, Düsseldorf-Hbf oder Essen-Hbf kommend, Haltestelle „Essen-Hügel“, dann Fußweg 300 Meter.







