Villa Hügel in Essen – Historische Ausstellung Krupp im Kleinen Haus

Eigentlich passt die Villa Hügel ja gar nicht zu meinem Thema… Wurde sie doch von 1870 bis 1873 erbaut und hat folglich architektonisch weder mit dem Jugendstil noch mit der Moderne zu tun. Doch tatsächlich ist sie es, die mich überhaupt darauf gebracht hat, meinen Blog wiederzubeleben! Hat sie doch im Keller ein sehr schönes Jugendstil-Schwimmbad, das ich vor drei Monaten im Rahmen einer Führung besichtigen durfte und das mich letztlich dazu brachte, mich nochmal mit dem Thema Jugendstil zu beschäftigen. 😊

Villa Hügel/Großes Haus von der Hinterseite aus gesehen

Kleines Haus/Großes Haus

Es ist ein Samstagnachmittag im Juli. Das Kleine Haus steht noch auf meiner Liste. Das Große Haus habe ich beim letzten Mal ausführlich besichtigt (Blogartikel hier). Diesmal ist der Herzallerliebste dabei und wir sind mit dem Auto angereist, denn bei der S6 zwischen Düsseldorf und Essen herrscht augenblicklich Schienenersatzverkehr und die Fahrt dauert somit „hundetechnisch“ einfach zu lang. 😉

Villa Hügel/Kleines Haus Vorderseite

Eine Schranke hält uns von der Einfahrt auf das Gelände ab. Der Herzallerliebste steigt aus und ersteht beim Pförtnerhaus zwei Tickets für uns. Wir fahren durch die weitläufige, gut gepflegte und sehr schöne Parkanlage hoch zum Parkplatz. Jedes Mal, wenn ich dort ankomme, bin ich beeindruckt von der Größe: Die „Villa“ Hügel wirkt weniger wie eine Villa als wie ein Schloss!

Villa Hügel/Großes Haus

Der Parkplatz ist ziemlich voll, nur wenige freie Plätze sind übrig. Noch immer interessieren sich anscheinend sehr viele Menschen für die Familie Krupp. Am Eingang zum Haus zücke ich das Ticket, aber die Museumsaufseherin winkt ab. Hätte ich mir ja denken können, ohne kommt man ja eh nicht hier hin. Ein bisschen abgeschottet ist das ja alles immer noch… So wie früher, als die Familie noch hier lebte und Wert daraufgelegt wurde, zu kontrollieren, wer Einlass erhielt und wer nicht. Hier ein kurzer Überblick, was die Ausstellung zu bieten hat:

Historische Ausstellung Krupp

Im unteren Bereich des Hauses werden die Familie Krupp und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung vorgestellt. In der oberen Etage geht es um die Geschichte der Firma Krupp in den Jahren 1811 bis 1967.

Familie Krupp

Fünf Generationen leiteten das Unternehmen in den Jahren ihres Bestehens zwischen 1811 und 1967. Alle werden ausführlich vorgestellt. Alfred Krupp, der die Villa bauen ließ (und auch am Entwurf mitwirkte) war derjenige, der mit der Erfindung des nahtlosen Radreifens zum großen Durchbruch der Firma beitrug. Arndt von Bohlen und Halbach war der letzte Erbe. (Da er auf sein Erbe verzichtete, durfte er aufgrund eines (noch geltenden) königlich-preußischen Erlasses den Namen „Krupp“ nicht in seinem Namen führen. Das durften nur die Firmenleiter.)

Stiftung

Die Stiftung wurde 1967 nach dem Tod von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach gegründet, d.h. das gesamte Vermögen der Firma Krupp wurde von Alfried Krupp auf die Stiftung übertragen. Dies wurde nur möglich, weil der letzte Erbe, Alfrieds Sohn Arndt von Bohlen und Halbach, auf sein Erbe verzichtete.

Die Stiftung ist rein gemeinnützig und unterstützt Projekte in den Bereichen Wissenschaft, Literatur, Musik, Bildende Kunst, Erziehungs- und Bildungswesen, Gesundheit und Sport. Sie ist die größte Aktionärin des heutigen Thyssenkrupp-Konzerns und ihr Stiftungsvermögen beträgt 1,2 Milliarden Euro. Es handelt sich laut der Zeitung Die Welt „um die viertgrößte auf Privatinitiative zurückgehende gemeinnützige Einrichtung in Deutschland“!

Krupp-Logo

Krupp im Nationalsozialismus

Wieso wir ausgerechnet heute hier sind? Vor ein paar Tagen las ich im guten alten Videotext, dass die Stiftung sich entschlossen hat, mit dem Projekt „Alfried Krupp und der Nationalsozialismus“ dem Denken ihres Stifters intensiver auf die Spur zu kommen. Genau das hatte ich mich ja bei meinem ersten Blogbeitrag zur Villa Hügel gefragt: „Darf“ ich die Villa bzw. das Jugendstil-Schwimmbad usw. eigentlich toll finden bei der nicht gerade ruhmreichen Vergangenheit der Familie? Was haben sich einzelne Krupp-Familienmitglieder zuschulden kommen lassen? Auf der Stiftungsseite finde ich vorab nähere Informationen zum Forschungsprojekt:

„Das im Februar 2022 von der Krupp-Stiftung initiierte und von Prof. Dr. Eckart Conze geleitete Rechercheprojekt hat Quellen zutage gefördert, die Aufschluss über die Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geben könnten. Diese sollen im Rahmen weiterer Forschung untersucht und ausgewertet werden und in einer Publikation münden. Aspekte, die dabei näher beleuchtet werden sollen, sind unter anderem die Mitgliedschaften Alfried Krupps in NS-Organisationen ebenso wie die sogenannte Landsberghilfe“, ein informelles Unterstützungsnetzwerk für Mithäftlinge Krupps im alliierten Kriegsverbrechergefängnis Landsberg, und der Themenkomplex „Zwangsarbeit“.“

Die Stiftung möchte durch die fortgesetzte Forschung das Bild ihres Stifters vervollständigen, sich dabei aber nicht von ihm distanzieren, sondern ihm näherkommen, lese ich noch. Denn das wurde von der Presse offenbar missverstanden. Es geht nicht um Distanz, sondern um ein differenzierteres Bild von Alfried Krupp.

Doch bevor wir zu diesem schwierigen Thema in der Ausstellung gelangen, geht es zunächst um die einzelnen Generationen der Familie, und dann auch um das Krupp’sche Sozialsystem, das ich sehr interessant finde.

Krupp’sches Sozialsystem: „Der Zweck der Arbeit soll dem Gemeinwohl dienen, dann bringt Arbeit Segen, dann ist Arbeit Gebet.“ (Zitat Alfred Krupp)

Schon sehr früh (1813) kümmerte sich der Gründer Friedrich Krupp (1787-1826) um erkrankte Arbeiter, d.h. er zahlte ihnen weiterhin Lohn und beglich Arztrechnungen, obwohl die Lage im Unternehmen damals wirtschaftlich schwierig war. 1836 richtete Alfred Krupp (1812-1887) eine Unterstützungskasse für Krankheits- und Todesfälle ein, 1855 kam die Pensionskasse hinzu. Die Staatliche Sozialversicherung gab es erst ab 1881, das heißt, Alfred Krupp engagierte sich schon wesentlich früher für die Arbeiter als der Staat. Auch ging sein Engagement weit über das hinaus, was andere Unternehmen machten. Aber: Wer das Unternehmen verließ, verlor alle Ansprüche. Er war der klassische Patriarch, der sich um seine Kinder“ kümmerte, aber eben dafür auch absoluten Gehorsam verlangte. Er wollte damit revolutionäre polititsche Gedanken (Geist der Arbeiterbewegung) oder Handlungen (Streiks etc.) verhindern. Er erließ strenge Regelwerke, an die sich alle halten mussten. Aber er baute auch Wohnungen, Schulen und Lebensmittelläden. Das firmeneigene Lazarett war der Ursprung des heutigen Alfried Krupp Krankenhauses in Essen. Sein Sohn Friedrich Alfred Krupp erweiterte das Sozialsystem und schuf Angebote im Bereich Bildung und Kultur. 1899 wurde ein Bildungsverein gegründet, der auch Konzerte und Theatervorstellungen ausrichtete. Auch gab es eine Bücherhalle. Er hoffte, damit die Arbeiter in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren.

Die rast- und ruhelose Aktivität geht wohl in Richtung „protestantisches Arbeitsethos“, wie Grumpy Hubby immer so schön sagt und vielleicht mal an dieser Stelle in einem klugen Satz erklären kann: „Erklären? Immer gerne! Mit protestantischem Arbeitsethos ist gemeint, dass Arbeit als von Gott gewollter Teil des Lebens betrachtet wird, der vom Menschen als Pflicht angenommen werden soll. Sehe ich übrigens genauso!“ Tja ja, was soll man dazu noch sagen…? 😉 Dass Grumpy Hubby viel und gerne arbeitet, muss ich wohl nicht näher erläutern…

Dazu passt jedenfalls auch, dass Alfred Krupp das Angebot eines Adelstitels ausschlug mit den Worten „Ich heiße Krupp, das genügt.“ Sehr spannend auf jeden Fall. Bevor ich mich dem Thema widme, weswegen ich hauptsächlich hier bin, werfe ich noch einen kurzen Blick aus dem Fenster. Wie ein Schlosspark…

Was ich zum Thema „Krupp im Nationalsozialismus“ in der Ausstellung erfahre (die natürlich noch nicht mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der geplanten Studie aufwarten kann)

Entwurf China-Raum Villa Hügel

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870-1950)

Vor Alfried Krupp kam zunächst sein Vater, der ehemalige Diplomat Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Er war der angeheiratete Schwiegersohn, der Bertha Krupp, die Alleinerbin des Unternehmens, 1906 geheiratet hatte. Er war im Übrigen derjenige, der den China-Raum erbauen ließ, den ich bei der Führung besichtigen durfte und der heute in der Ausstellung sogar auf einem Foto abgebildet ist!

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach übernahm von 1909 bis Ende 1943 den Vorsitz im Aufsichtsrat der Firma. Im Ersten Weltkrieg stellte er die Anlagen ganz auf die Produktion von Geschützen, Munition und anderem Rüstungsmaterial um. Am Ende des Kriegs führte dies zu erheblichen Schwierigkeiten, da der Versailler Friedensvertrag die Zerstörung zahlreicher Fabrikanlagen vorsah und die Produktion von Rüstungsgütern verbot. Man begann mit der Produktion mit Lastkraftwagen, Lokomotiven usw., was zunächst wenig rentabel war. Als konservativ-national Denkender sah er die Machtübernahme der Nazis zunächst mit Skepsis, steht auf einer Ausstellungstafel. Aber sowohl der wirtschaftliche Aufschwung als auch die scheinbare Stabilisierung Deutschlands brachten ihn dazu, sich zunehmend mit dem NS-Regime zu arrangieren und deren Brutalität auszublenden, lese ich weiter.

Zwangsarbeiter

Um den kriegsbedingten Mangel an Arbeitern auszugleichen, arbeiteten bei Krupp 100.000 Menschen aus dem Ausland, die meisten davon Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. Was für eine erschreckende Zahl! Sie wurden aufgrund der Rassenideologie als „Ostarbeiter“ bezeichnet und litten unter harten und unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die „Baracken“, die als Unterkünfte für sie errichtet werden, sehen tatsächlich barackenhaft aus auf den Fotos. Ich fotografiere sie nicht ab.

1959 gehörte die Firma zu einem der ersten Unternehmen, die ehemaligen jüdischen Zwangsarbeitern Entschädigungen zahlten, lese ich. Krupp als „Waffenschmiede des Deutschen Reiches“ sei ein überzeichnetes Bild, steht außerdem dort. „An der Gesamtproduktion deutscher Geschütze war Krupp mit weniger als zehn Prozent beteiligt.“ Hm.

Das Hitler-Regime mischte sich immer mehr in den Konzern ein und gab Produktionsziele vor. Die Krupp-Werke wurden ab 1943 von den Alliierten stark angegriffen und fast zwei Drittel zerstört oder stark beschädigt. Essens Altstadt wurde übrigens zu 93 Prozent zerstört. Neulich habe ich noch ein Foto gesehen aus Vorkriegszeiten mit wunderschönen Gründerzeitbauten. Das Essener Stadtbild, mit dem meine Generation aufgewachsen ist, ist dementsprechend nicht wiederzuerkennen.

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967)

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hatte mehrere Schlaganfälle und übertrug die Leitung der Firma 1943 auf seinen Sohn Alfried. In den letzten Jahren seines Lebens litt er auch unter Demenz und wurde zum Pflegefall.

Alfried war seit 1938 Mitglied der NSDAP, lese ich zuhause nochmal nach. Und seit 1931 förderndes Mitglied der SS. Außerdem Stellvertreter seines Vaters als Kuratoriumsvorsitzender der Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft. Hört sich für mich nach einem Nazi an…

Foto Verhaftung Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 1945

Am 11. April 1945 wurde er von amerikanischen Truppen verhaftet und vom US-Militärgerichtshof in Nürnberg zu 12 Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurde sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt. Sein Vater Gustav wurde wegen Krankheit für prozessunfähig erklärt. Es kam 1948 in Nürnberg zum sogenannten „Krupp-Prozess“, bei dem Alfried wegen Sklavenarbeit und Plünderung von Wirtschaftsgütern im besetzten Ausland verurteilt wurde. 1951 wurde er begnadigt und aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Dabei wurde die Beschlagnahmung des Vermögens aufgehoben. 1953 übernahm Alfried Krupp dann wieder die Leitung des Unternehmens und holte Bertold Beitz als Generalbevollmächtigten in die Firma. Dieser rettete im Zweiten Weltkrieg mehreren Hundert jüdischen Zwangsarbeitern das Leben. Beitz wurde später bis zu seinem Tod im Jahr 2013 Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und Aufsichtsratsvorsitzender im Krupp-Konzern (später Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats, seit 1999 bei der Thyssenkrupp AG).

Erbverzicht und Gründung der Stiftung

Alfried Krupp litt unter Lungenkrebs und kurz vor seinem Tod verfügte er die Gründung der Stiftung. Dies wurde möglich, weil sein einziger Sohn, Arndt von Bohlen und Halbach, auf sein Erbe verzichtete.

Exkurs Begnadigung von Kriegsverbrechern in den 1950er Jahren

Wieso wurde Alfried Krupp begnadigt? frage ich mich beim Schreiben meines Textes. Wieso musste er nur die Hälfte seiner zwölfjährigen Haftstrafe verbüßen? War er krank? Und wieso steht dazu nirgendwo etwas? Weder in der Ausstellung noch in den biographischen Angaben, die man auf Anhieb im Internet findet… Doch bei genauerer Recherche stoße ich ziemlich schnell auf die Info, dass sehr viele der in den Nürnberger Prozessen verurteilten Kriegsverbrecher ihre Strafe nicht voll verbüßen mussten. Ich bin ziemlich schockiert, handelt es sich bei den in den Nürnberger Prozessen aufgearbeiteten Taten doch um wirklich schlimme Straftaten: Menschenversuche der Ärzte in den KZs, Massenmorde usw. In diesen beiden Artikeln (Links hier: Deutschlandfunkkultur und WDR ) wird es erklärt. Zum einen setzten Politiker wie Adenauer und die beiden großen Kirchen die Amerikaner unter Druck, die Gefangenen freizulassen, zum anderen waren die USA an Deutschland als Bündnispartner im Kalten Krieg interessiert. Das machte sie quasi erpressbar. Nur bei sieben Todesurteilen blieb der amerikanische Hochkommissar John McCloy hart. Viele Todesstrafen wurden umgewandelt und viele der Verurteilten begnadigt. Aus heutiger Sicht macht mich das ein wenig sprachlos. Auch wenn die Industriellen wie Krupp wahrscheinlich selbst keinen Mord begangen haben, waren viele doch indirekt beteiligt daran… außerdem haben die Krupps auch Zwangsarbeiter ausgebeutet und in unmenschlicher Weise behandelt! Ich recherchiere weiter. Da ich keine Historikerin bin und das Internet weder zuverlässig ist noch viel hergibt, suche ich erstmal in unseren Quellen zuhause weiter und stoße dabei auf die von Historiker-Hubby als „populärwissenschaftlich“ eingestuften Geo-Epoche-Zeitschriften, in diesem Fall eine über die Nachkriegszeit in Deutschland 1945-1955 (Geo-Epoche-Panorama). Ich finde einen sehr interessanten Artikel über die Entnazifizierung bzw. den Versuch der Entnazifizierung (durch die Amerikaner), der gewissermaßen von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Zum einen war die Masse einfach nicht zu bewältigen, – war doch quasi fast jeder Deutsche irgendwie schuldig – zum anderen konnte nicht jeder aus dem Dienst entlassen werden, brauchte doch die junge Republik dringend alle zum Aufbau, in der Verwaltung, aber auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Und dann stoße ich auf den Satz eines Historikers, der das alles irgendwie so ein bisschen nachvollziehbar werden lässt und der ein wenig mit meiner persönlichen Lebenserfahrung zusammenpasst: „Die außerordentliche Stabilität der frühen Bundesrepublik war, so der Historiker Hans-Ulrich Wehler, auch das Ergebnis eines ‚frühzeitig eingeschlagenen pragmatischen Kurses, der unausgesprochen von der Mitschuld fast aller ausging und – anstatt eine allgemeine Katharsis zur Vorbedingung eines neuen Anfangs zu machen – alle Energien in den Wiederaufbau lenkte‘.“ Das kann ich mir sehr gut vorstellen! Die pragmatische Art der Amerikaner, die sowieso mehr in die Zukunft denken als in der Vergangenheit… und die Erkenntnis, dass niemand wirklich „unschuldig“ gewesen sein kann, führten letztlich dazu, sie freizulassen. Das macht für mich irgendwie Sinn, nicht länger darauf zu beharren, auch wenn es von meinem Gerechtigkeitsempfinden komplett anders gesehen wird. Andererseits wissen wir ja, dass z.B. all die Männer, die im Krieg gewesen sind, ohnehin oftmals ihr ganzes Leben damit belastet waren, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Zumindest bei einigen von ihnen kamen die Erinnerungen immer wieder hoch. Hier möchte ich kurz den sehr interessanten Film „Kuhlenkampffs Schuhe“ erwähnen, der sich genau damit beschäftigt. Aber ich schweife ab. Einfach zu spannend, das alles…

Aus „Geo Epoche Panorama/Nachkriegszeit Deutschland 1945-1955“

Fazit

Während wir zum Ausgang schlendern, hänge ich meinen Gedanken nach. Wahrscheinlich finden viele Menschen die Geschichte der Familie Krupp nach wie vor interessant, weil sie nicht so eindeutig ist. Nicht Schwarz-Weiß eben. Sie waren zwar übermäßig reich, aber trotzdem auch nur normale Menschen in gewisser Hinsicht. Es gab nicht nur ausschließlich „schlechtes“, also meiner persönlichen Definition nach „anderen Menschen schadendes“ Verhalten, es gab auch gute Taten wie das Krupp’sche Sozialsystem. Und mit der Gründung der Stiftung bzw. der Übertragung des gesamten Vermögens auf sie hat der letzte Alleininhaber Alfried Krupp von Bohlen und Halbach ja eigentlich alles nochmal umgedreht, quasi das Ruder herumgerissen nach der schlimmen Vergangenheit während der Zeit des Nationalsozialismus.


Auch wenn möglicherweise vieles (oder alles?), was er davor getan hat in seinem Leben, nicht richtig war und mit viel Leid verbunden war, war seine letzte Lebensentscheidung, nämlich das Geld der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, zumindest eine gute und richtige Entscheidung. Natürlich vor allem für die Allgemeinheit, die ja von dem Geld profitiert, aber auch, um das Erbe der Familie zu wahren und die Familie insgesamt als eher dem Gemeinwohl verpflichtet darzustellen, so wie sein Urgroßvater es im Sinn gehabt hatte. Und damit lebt das Unternehmen weiter fort.

Persönliche Erkenntnisse

Ich nehme aus diesem Besuch verschiedene Dinge für mich mit. Erstens etwas, das ich mir als „amerikanischen Pragmatismus“ abspeichere (siehe Exkurs Begnadigung der Kriegsverbrecher): Dass es manchmal vielleicht irgendwann besser ist, seinen Blick in die Zukunft zu richten anstatt darauf zu hoffen, dass es eine wirklich umfassende ausgleichende Gerechtigkeit geben kann. Zweitens, dass es Sinn macht, sich nicht nur oberflächlich mit Dingen zu beschäftigen, denn hätte ich nicht weiter recherchiert, wäre ich bei dem schlechten Gefühl des totalen Unverständnisses stehengeblieben. Und drittens die Erkenntnis, dass man im Leben immer eine Wahl hat. Man kann sich eigentlich immer für eine gute oder zumindest die bessere Variante entscheiden. Eine, die auch anderen Menschen was nützt. Auch, wenn man vorher viele falsche Entscheidungen getroffen hat, kann man immer, eventuell wie hier bei Alfried Krupp sogar im letzten Augenblick seines Lebens, noch eine gute Entscheidung treffen und damit eine Wende zum Besseren veranlassen.

Was meine Frage betrifft, ob ich die Villa gut finden „darf“ trotz ihrer Vergangenheit, kann ich nun mit einem entschiedenen „Ja“ antworten. Und zwar deshalb, weil das Haus dazu genutzt wird, genau diesen Teil aufzuarbeiten und darzustellen, was ja noch nicht abgeschlossen ist. So können auch Menschen wie ich von der Geschichte der Familie, von ihren „Irrungen und Wirrungen“ profitieren im Sinne von „Schlüsse daraus ziehen/Erkenntnisse sammeln.“

Ich kann nur sagen, das Jugendstil-Schwimmbad hat mich dorthin gelockt, aber die Beschäftigung mit der Familie Krupp lohnt sich. Auf zur Villa Hügel! 😉

  • Infos: Villa Hügel Webseite
  • Anfahrt: Haraldstraße, 45133 Essen
  • ÖPNV: Mit der S6 von Köln Hbf, Düsseldorf-Hbf oder Essen-Hbf kommend, Haltestelle „Essen-Hügel“, dann Fußweg 300 Meter.

3 Antworten auf „Villa Hügel in Essen – Historische Ausstellung Krupp im Kleinen Haus

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  1. Da denke ich doch auch gerade an Haralds Besuche (bis 1957) in Frankfurt am Main, Stiftstrasse 36. Da empfing das Mädchen Rosemarie ihre Gäste..

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