Das Jugendstil-Wasserkraftwerk in Heimbach/Eifel

So ganz verstehe ich es ja nicht, denke ich, als wir an einem sonnigen Herbstsonntag mitten in der Eifel, also fernab von jeglicher größerer Stadt, vor dieser fast kirchenartig wirkenden Industriearchitektur stehen.

Wieso befindet sich hier, quasi in der Einöde, ein vollständig erhaltenes Jugendstil-Gebäude, das ab dem Jahr 1900 erbaut und 1905 in Betrieb genommen wurde? So früh? Normalerweise kommen „moderne Trends“ doch immer wesentlich später auf dem Land an… 😉

Ich sehe den Göttergatten fragend an. „Kannst du dir das erklären?“, will ich von ihm wissen. „In Darmstadt fand doch beispielsweise 1901 die erste Ausstellung zum Jugendstil statt! Wer hatte hier denn quasi zeitgleich mitten auf dem Land ein „Näschen“ für solch progressive Architektur?“

Er zuckt nur mit den Schultern. „Du bist doch die Jugendstil-Expertin“, meint er. Ich rolle mit den Augen, bemerke aber durchaus, wie er das Gebäude mustert. Wir haben Glück: Heute strahlt es besonders schön in der morgendlichen Sonne.

Nun, dann muss wohl mal wieder das Smartphone ran. Der Architekt ist schnell gefunden: Georg Frentzen (1854-1923) soll es vermutlich gewesen sein, so genau weiß man es nicht. Er reiste viel, u.a. nach Frankreich, Belgien usw. Außerdem beteiligte er sich an zahlreichen Architektur-Wettbewerben und war Hochschullehrer an der Technischen Hochschule Aachen. Unter anderem baute er das Empfangsgebäude des Kölner Bahnhofs.

Aha. Aufgrund all dieser Dinge war er vielleicht jemand, der sozusagen „am Puls der Zeit“ gewesen ist, also jemand, der zumindest die neuen Strömungen irgendwie mitbekommen hat. Denn sein üblicher Baustil scheint auf den ersten Blick so gar nichts mit dem Jugendstil zu tun zu haben.

Mhm. Wir gehen ein Stück näher ran und werfen einen verstohlenen Blick durch den Zaun. Hinein kommt man nur mit einer Führung. Dazu war unser Ausflug in die Eifel wohl zu spontan… Aber auch das Äußere ist umwerfend! Wie ein Kirchturm sieht der Turm aus und die unteren rundbogigen Fenster erinnern mich ebenfalls an Kirchenfenster, kein Wunder, dass das Gebäude auch als „Industriekathedrale“ bezeichnet wird.

„Eingang rundbogig mit Verdachung, darüber das abgerundete Wandfeld mit Inschrift, flachbogiger Giebel mit Dachüberstand“ ( Beschreibung in der Denkmalliste)

„Und das Wasser kommt jetzt woher?“, fragt der wissbegierige Herr an meiner Seite. „Und wie funktioniert das genau mit dem Strom?“

Oh je… mit Technik habe ich nicht so viel am Hut. „Äh… äh…“, stammele ich. „Warte…“ Hektisch tippe ich auf meinem Handy rum.

„Also, hier steht Folgendes…“

Fakten zum Kraftwerk Heimbach

  • Das Kraftwerk liegt zwar am Rur(stau)see, bezieht aber sein Wasser aus der Urfttalsperre
  • Das Wasser kommt über den Kermeterstollen, der 67 Höhenmeter oberhalb des Kraftwerks in zwei Druckrohre übergeht und eine Wassermenge von 16m3/s abgibt
  • Das Kraftwerk war bei der Einweihung 1905 das größte Speicher-Wasserkraftwerk Europas
  • Die ursprünglichen Turbinen waren bis 1975 in Betrieb und wurden dann durch Maschinen mit einem höherem Wirkungsgrad ausgetauscht
  • Das Jugendstil-Gebäude ist vollständig erhalten, auch im Inneren
  • Am Ende des Zweiten Weltkriegs, bei der Schlacht im Hürtgenwald, sprengten deutsche Truppen die aus dem Urftsee kommenden Druckrohre, um ein Hochwasser im Fluss Rur zu erzeugen und so den Vormarsch der Alliierten zu verhindern

„Was? Urft, Rur… was haben wir denn gerade auf unserer Wanderung gesehen?“, werde ich bei meinem Vortrag unterbrochen. „Urft oder Rur? Und der Kermeterstollen? Was ist das?“

„Moment. Wir waren vorhin mit dem Hund… äh… im oder auf dem Kermeter, das ist ein Bergrücken zwischen Gemünd und Heimbach. Dort haben wir die Route „Wilder Kermeter“ gemacht und sind zum Aussichtspunkt Hirschley gewandert, von dem aus man einen Blick auf den Rursee hat. So. Das hier ist also der Rursee…“ Ich zeige ihm das Foto. „Die Urfttalsperre muss sich südlich davon befinden, also quasi hinter dem Kermeter. Die haben wir nicht gesehen. Und das Wasser wird wohl durch den Kermeter getrieben, wenn ich das richtig verstehe. Und dabei entsteht dann Energie irgendwie… so ganz genau vorstellen kann ich mir das aber nicht… Äh… du?“

Aussichtspunkt Hirschley im Nationalpark Eifel

Wir sehen uns an und brechen zeitgleich in ein Lachen aus. „Lassen wir das mal mit der Technik“, meint der – was Technik betrifft – ebenfalls nicht gaaaanz so verständige Ehegatte.“Irgendwie entsteht dann Strom und wo wird der genutzt?“, fragt er.

„Früher auf jeden Fall im Raum Aachen!“, antworte ich triumphierend, denn das habe ich gerade gelesen. „Es gibt übrigens in Heimbach ein „Wasser-Info-Zentrum Eifel“, wie wär’s?“, schlage ich vor. „Oh nee, warte. Das öffnet erst später, um 14 Uhr…“

Blick vom Wasserkraftwerk auf die Urft

„Gott sei Dank!“, entgegnet er erleichtert und wir grinsen uns breit an. So richtig verstehen würden wir das alles wohl eh nicht… Physik und Mathe waren nicht gerade unsere Lieblingsfächer…

„Und wieso wurde hier nun so etwas Modernes hingebaut?“, fragt der heute – definitiv zu viele Fragen stellende – Mann neben mir.

„Ich weiß es nicht. Ich nehme mal an, es war einfach das Geld dafür da? Der Betreiber oder Besitzer ist ja anscheinend RWE, das heißt hier steht was von „RWE Generation SE“. Das ist seit 2013 eine Tochtergesellschaft der RWE. Ich weiß allerdings nicht, ob die das damals haben bauen lassen. Es gibt sie auf jeden Fall seit 1898.“

„Mhm.“

„Jedenfalls war es doch bestimmt so, dass – wer auch immer der Bauherr war -, damals viel Geld hatte, denn guck mal, hier beim WDR steht Folgendes: „Ein Ballsaal für Generatoren und Turbinen, ästhetisch durchdachtes Design, abgestimmt auf Funktion und Bedeutung industrieller Errungenschaften: Im Kraftwerk Heimbach sind Messgeräte und Schalter aus Messing hergestellt und auf Marmorplatten montiert – elegante Salonausstattung für komplizierte Technik. Die großzügig geschnittenen Fenster, hyperbolisch abgerundet, sind ein Spiel der Architektur mit mathematischen Kurven. Selbst das Ornament im Türgriff verweist auf stromgeladene Wellen.“ Das hört sich doch so an, als wäre wirklich viel Geld investiert worden. Oh, hier in dem Bericht kann man übrigens das Innere auch sehen: Westart. Wasserkraftwerk Heimbach.“ Er guckt sich das Video interessiert an.

Währenddessen frage ich mich, ob es heutzutage eigentlich immer noch so ist, dass Unternehmen fortschrittliche oder besondere Architektur fördern. Letztlich hat ja die Allgemeinheit auch was davon. Ich meine, wir stehen hier ungefähr 120 Jahre nach der Errichtung und können uns immer noch an der besonderen Schönheit des Gebäudes erfreuen. Ob das in Zukunft auch so sein wird? Gibt es Beispiele für Ähnliches aus der heutigen Zeit? Wo ein Architekt sich mal austobt und etwas Neues ausprobiert? So richtig will mir keins einfallen. Aber damit habe ich mich auch noch nicht wirklich beschäftigt.

„Vielleicht hatte der Architekt einfach Lust, auch mal was im „Neuen Stil“ zu entwerfen…“, überlege ich laut. „Und das ist ihm offenbar total gelungen.“

„Joah… mir gefällt es auch.“

„War eine gute Idee von mir, heute hierhin zu fahren“, grinse ich.

„Allerdings!“, entgegnet er hüstelnd.

So viel Begeisterung hätte ich ihm gar nicht zugetraut. 😉

Fotoimpressionen aus der Umgebung

Burg Hengebach in Heimbach

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