

Ich bin nicht die Einzige, die dieses Haus an einem ganz normalen Werktag von außen bestaunt. Ein Pärchen steht bereits davor, als ich ankomme. Beide haben ihre Köpfe in den Nacken gelegt und betrachten minutenlang das riesige goldschimmernde Sgraffito.
Ich tue es ihnen gleich: Ich sehe schöne Frauen mit langen, wallenden Haaren und verschiedenen Dingen in der Hand. Ich sehe außerdem ein kreisförmiges Fenster und ein ungewöhnliches Eisengeländer. Die geometrischen Formen und die dargestellten Frauen erinnern mich irgendwie an Charles Rennie Mackintosh, den schottischen Art-Nouveau- Architekten (1868 -1928).
Weiter unten sehe ich zwei Schilder, auf dem einen steht „Ateliers Cauchie“, auf dem anderen „Mr und Mme Cauchie“.
Ich denke: Wow. Was für ein Haus. So etwas gibt es bei uns nicht. Es gab mal das Fotoatelier Elvira in München mit einem großen Fassadenrelief von August Endell, das von den Nationalsozialisten 1937 entfernt wurde. Aber das war ja ein Relief und kein Sgraffito. Gab es solche großflächigen Sgraffiti prinzipiell in Deutschland überhaupt? Ich weiß es nicht. In den Büchern über den Jugendstil tauchte bisher keins auf.
Aber zurück nach Brüssel. Wer hat dieses tolle Haus denn nun gebaut? Und warum?

Wer?
Der Architekt, Maler und Dekorateur Paul Cauchie (1875 – 1952) und seine als Malerin tätige Frau Caroline Voet (1875 – 1969) bauten das Haus im Jahr 1905 und lebten auch darin. Die Inschrift an der Fassade „Par Nous -Pour Nous“(Von uns – Für uns) zeugt davon.
Was?
Das Gebäude ist ein Wohn- und Atelierhaus im Jugendstil von 1905 – ein Gesamtkunstwerk, denn die Bewohner schufen auch zahlreiche Kunstwerke für den Innenbereich wie Wandverkleidungen, Gemälde und Möbel. Hervorstechendstes Merkmal: Das riesige Sgraffito, das eine Allegorie für die Künste darstellt: Palette und Pinsel stehen für die Malerei. Die Leier für die Musik. Zirkel, Statuette, Hammer und Meißel als Sinnbild für die Bildhauerei. Der Tempel für die Architektur. Und die Halskette für die Goldschmiedekunst.

Wo?
Das Haus steht in der Rue des Francs am Rande des Jubelparks (Parc du Cinquantenaire). Als es erbaut wurde, war es das einzige in der Straße. So hatten Spaziergänger des Parks einen tollen Blick auf das Haus.
Warum?
Paul Cauchie gestaltete die Hausfassade wie eine riesige Werbetafel, die die Aufmerksamkeit vorbeigehender Passanten auf sich zog. Er demonstrierte damit sein Können und wies in den Schildern auf sein Angebot hin. Er kreierte hauptsächlich Sgraffiti, seine Frau unterrichtete Malerei.


Wieso ich es toll finde
Weil es außergewöhnlich ist. Weil es individuell ist. Weil es von den Bewohnern selbst entworfen wurde und ihre Persönlichkeiten widerspiegelt. Weil sie damit etwas zum Ausdruck brachten über sich.
Und natürlich, weil es schön aussieht. Weil es vom Stil her an die „Glasgow Four“ erinnert, sowohl von der Architektur her als auch von den Abbildungen. Und zu guter Letzt, weil ich entdeckt habe, dass auf einem Sgraffito im Innenbereich eine No-Maske vorkommt, das sind japanische Theatermasken, die ich schon immer spannend fand. Mit dieser abgebildeten No-Maske wird also auch noch mal ganz direkt der damalige Einfluss der japanischen Kunst auf den Jugendstil sichtbar (Japonismus).


Fazit
Ein Haus, das sich absolut anzusehen lohnt. Beim nächsten Mal hoffentlich auch von innen.
Infos
- Maison Cauchie (Geführte Besichtigungen immer am Wochenende)
- Monument Heritage Brussels
- Wikipedia


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