Das Haus, um das es hier geht, ist leider verknüpft mit einer unrühmlichen Vergangenheit. Wenn ich es sensationsheischender ausdrücken wollte, würde ich schreiben, es ist mit Blut befleckt. Aber diese Art zu schreiben mag ich nicht und deshalb versuche ich, es sachlicher zu erfassen. Die Ausstellung in dem von Victor Horta geplanten Hôtel van Eetvelde, die ich an diesem sonnigen Montag besuche, verschweigt die Verwicklung des Bauherrn Edmond van Eetvelde in die Vergangenheit Belgiens als (ausbeutende) Kolonialmacht und ihren grausamen Herrscher Leopold II. nicht. Mehrere Ausstellungstafeln handeln davon und ich finde – so schön das Haus auch ist – man darf diesen Schatten nicht übersehen. Deshalb zunächst eine kleine historische Einordnung, ergänzt durch recherchierte Informationen, bevor es in Teil 2 um die Architektur des Hauses geht.


Kongogräuel
Als „Kongogräuel“ wird die systematische Ausplünderung des Kongo-Freistaats zwischen 1888 und etwa 1908 bezeichnet, bei der es zu Misshandlungen und Gewalttaten an der einheimischen Bevölkerung kam. Ein Historiker spricht von 10 Millionen Opfer durch Massaker, Hungersnöte, Tötungen und Verstümmelungen. Und das alles, weil König Leopold II. den kleinen Staat Belgien auf eine Stufe bringen wollte mit den anderen großen Kolonialmächten.
Wie es dazu kam
Belgiens König Leopold II. hatte auf der so genannten Kongo-Konferenz in Berlin (1884/1885) den Kongo als Privatkolonie zugesprochen bekommen unter der Maßgabe, „die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen“ (Wikipedia). Was er allerdings nicht tat, sondern geradezu das Gegenteil davon: Er beutete die Menschen dort aus und misshandelte sie.
Um die Jahrhundertwende berichteten Missionare schließlich von den fatalen Zuständen im Land und es kam zu internationalen Protesten. Joseph Conrads berühmtes Buch „Herz der Finsternis“ (1899) schildert die dortigen Zustände. Auch der allseits bekannte Schriftsteller Mark Twain veröffentlichte 1905 eine Streitschrift mit dem Titel „König Leopolds Selbstgespräch“. 1908 musste Leopold II. dem öffentlichen Druck nachgeben und den Kongo an den belgischen Staat abtreten.
Der Elfenbeinhandel funktionierte von Anfang an gut, aber was den anderen Handel betraf, lief es zunächst wohl nicht so, wie Leopold II. sich das vorstellte. Er musste Investoren und auch Abnehmer für die ungewöhnlichen Produkte wie Kautschuk, Palmöl und Kaffee finden. Dabei half ihm eine kleine Gruppe Mitarbeiter, einer davon war Edmond van Eetvelde (1852-1925), um dessen Haus es hier geht. Genau wie Leopold II. hat er übrigens niemals einen Fuß auf kongolesischen Boden gesetzt.
Art Nouveau für Propagandazwecke
Die neu aufgekommene Kunst – der Jugendstil/Art Nouveau – wurde für den Zweck eingesetzt, die neuartigen Produkte besser verkaufen zu können. „Es musste eine Verbindung geschaffen werden“, heißt es auf der Ausstellungstafel, „zwischen dem Land, das weit weg war, und Belgien“. Die Kunst sollte dabei helfen, die neuen Reichtümer bekannt zu machen. So wurde ein Teil des erbeuteten Elfenbeins Künstlern zur Verfügung gestellt, um die Kunst der Elfenbeinschnitzerei der flämischen und brabantischen Meister im 16. und 17. Jahrhundert wiederzubeleben. „Oder, anders ausgedrückt, eine fiktive Verbindung zwischen einem fernen Land und dem Land, das es ausbeutet, herzustellen“ (Ausstellungstafel). Darüber hinaus wurden auf der Weltausstellung 1897, die in Brüssel stattfand, Produkte aus dem Kongo gleichzeitig mit Jugendstil-Produkten gezeigt, was zur Folge hatte, dass der Jugendstil manchmal auch als Kongostil bezeichnet wurde.
An dieser Stelle würde ich gerne einen dieser Emojis mit weit aufgerissenen Augen einfügen, aber den gibt es hier leider nicht. Schockierend alles irgendwie und noch schockierender, was ich jetzt zuhause so nachlese: Dass diese Weltausstellung neben der zusätzlichen „Kongoausstellung“ eine von Leopold II. initiierte „Völkerschau“ hatte mit Menschen aus dem Kongo…
Weltausstellung 1897 in Brüssel

Man kann sich das heutzutage ja so gar nicht mehr vorstellen, aber Leopold II. hatte im Park von Tervuren mehrere Nachbildungen kongolesischer Dörfer errichten lassen, in denen er – wie man es damals in solcherlei „Völkerschauen“ tat – „echte Kongoleser“ ausstellte, damit die belgische Bevölkerung sie – ich sage es mal sehr salopp und ein bisschen boshaft – anglotzen konnte. Kaum mehr vorstellbar, dass die Massen dort hinströmten!
Das gab es übrigens auch in Deutschland, zum Beispiel in Berlin im Treptower Park und zwar im Jahr 1896, wie ich jetzt zum ersten Mal lese. Die Berliner Kolonialausstellung wollte für den Kolonialismus werben und „stellte 106 nicht europäische Menschen aus Afrika und Melanesien (pazifische Inselgruppen) in ihrer Lebenssituation dar“.
Doch zurück zum Jugendstil. Bei der Weltausstellung 1897 gab es zwei verschiedene Teile, einen im Jubelpark in Brüssel und dann noch eine separate Kongo-Ausstellung im Afrika-Palast in Tervuren. Dieses Gebäude wurde im Auftrag Leopolds II. eigens für die Ausstellung 1897 errichtet. Im Inneren entwarf Georges Hobé eine Jugendstil-Holzkonstruktion aus Tropenholz, um mit seinen geschwungenen Formen an die Üppigkeit des afrikanischen Waldes zu erinnern. „Die dort eingerichtete temporäre Ausstellung räumte neben den ‚Kuriositäten‘ des Kongo, ausgestopften Tieren und Objekten von ethnografischem Interesse, den Exportprodukten einen besonderen Platz ein: Kaffee, Kakao, Tabak und Waldarten“ (Wikipedia). Aus dieser Ausstellung ging schließlich das Museum des Kongo hervor, welches es heute noch gibt unter dem Namen „Königliches Museum für Zentralafrika“. Es wurde nach und nach modernisiert und inzwischen werden dort anscheinend auch die Kolonialverbrechen angesprochen.
Des Weiteren gab Edmond van Eetvelde den Art-Nouveau-Künstlern Paul Hankar, Gustave Serrurier-Bovy (1858–1910) und Henry van de Velde (alles bekannte Künstler!) den Auftrag zur Einrichtung eines Saales für die Weltausstellung. Das heißt also, dass die geschätzten Jugendstil-Künstler, die ich gerne als „Helden“ auf der „richtigen Seite“ gesehen hätte (auf der menschlichen Seite, also das Wohl aller Menschen im Sinn) auch keine rein weiße Weste haben…
Edmond van Eetvelde (1852-1925)

Wer war dieser Mann, der sich ein Haus vom damals angesehenen Architekten Victor Horta bauen ließ? Alles zu seiner Biographie kann man auch hier bei Wikipedia nachlesen. Aber was mich noch mehr interessiert: Wer war dieser Mensch, der dem König diente und infolgedessen auf Menschen in einer Art und Weise herabblickte, die wir heute kaum mehr nachvollziehen können?
„Edmond van Eetveldes Sicht auf den Kongo war typisch für einen Mann seiner Zeit und seines Milieus“, lese ich (im Original auf Englisch) auf der Ausstellungstafel. „Ein weißer Mann aus einer bürgerlichen Elite, der überzeugt davon war, er würde wohltätige Arbeit leisten, wenn er die ‚Zivilisation‘ zu einem Volk brachte, das damals als minderwertig/unterlegen oder sogar primitiv angesehen wurde“.
Und weiter: „Mit einem pragmatischen Geist ausgestattet, baute van Eetvelde im neu gegründeten Freistaat Kongo ein politisches, gesetzgeberisches und administratives System nach westlichem Vorbild auf. Sein Ziel bestand vor allem darin, die Effizienz und Rentabilität der Kolonie sicherzustellen. Die Entfernung zwischen der Kolonie und der Hauptstadt hat sicherlich dazu beigetragen, unangemessene Regeln zu erlassen, unrealistische Quoten festzulegen oder auf die in der internationalen Presse berichteten Gewalttaten gegen Kongolesen nicht zu reagieren. Für ihn war es selbstverständlich, dass die lokale Bevölkerung die Kolonialgesetze befolgte (Ausstellungstext).
Es fällt mir schwer, mir das alles vorzustellen. Er handelte einerseits im Einklang mit den damals gültigen Werten, okay, aber andererseits waren auch schon zu jener Zeit bereits einige andere Menschen in der Lage, das begangene Unrecht an der Bevölkerung zu erkennen (die Missionare und Schriftsteller und ein Reederei-Angestellter namens Edmund Dene Morel, der aufgrund der Kongogräuel übrigens eine der ersten Menschenrechtsorganisationen ins Leben rief: die Congo Reform Association). Das passt doch irgendwie nicht zusammen, bzw. es ist dann doch wohl so wie es immer ist: Es gibt Gier/Niedertracht und Liebe/Hilfsbereitschaft gleichzeitig auf der Welt…
Nun, es ist wirklich ein komplexes Thema und wer möchte, kann hier bei Wikipedia nochmal alles genauer nachlesen, auch was für unangemessene Regeln und unrealistische Quoten erlassen wurden.
Fazit
Man muss es leider so sagen: Die Schönheit des Hauses van Eetvelde beruht letztlich auf der Ausbeutung der Bevölkerung des Kongos. Das darf man bei der Betrachtung der Fotos in meinem nächsten Artikel nicht außer Acht lassen. Und mir persönlich verursacht das einen schalen Beigeschmack, ich kann mir nicht helfen.
P.S.
Im Jahr 2020 wurde im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung von der Stadtverwaltung in Antwerpen beschlossen, die dortige Statue von Leopold II. zu entfernen.

