
Einen Tag danach bin ich immer noch baff von den vielen Eindrücken… Es ist ein seltsames Gefühl, die Zeit, die ich zumindest teilweise als Kind bzw. Jugendliche erlebt habe (1967-1992), nun in einem Museum reflektiert zu sehen. Es kommt mir gar nicht so lange her vor, denn die Musik von damals ist immer noch allgegenwärtig. Im Radio oder im Fernsehen laufen ständig „80er-Jahre-Hits“. Und trotzdem ist die Zeit schon so lange vorbei, dass sich ein Museum diesem Thema widmet. Vorab möchte ich erwähnen, dass ich die Ausstellung leider am allerletzten Öffnungstag besucht habe (zu spät gesehen). Daher ist es diesmal leider kein Tipp für einen Besuch, sondern lediglich ein persönlicher Bericht.
Die 30-Jahre-Regel der Wissenschaft
Mein allwissender Hubby *hüstel* liefert sofort eine fachliche Erklärung für dieses Phänomen: Er erklärt mir die Faustregel, dass die Zeitgeschichte als Wissenschaft sich immer mit dem Zeitraum beschäftigt, der mehr als 30 Jahre zurückliegt, was wohl auch etwas mit der Freigabe von Archiv-Material oder Ähnlichem zu tun hat.
Die Rolle der Ironie in der Postmoderne
Und damit wären wir beim Thema: Was ich gerade über meine bessere Hälfte geschrieben habe, entlarvt mich praktisch als typische Vertreterin einer Generation, die in der Postmoderne aufgewachsen ist! Heutzutage versteht man den ironischen Tonfall vielleicht weniger gut, aber damals war er allgegenwärtig. „Ironische Distanz ersetzt existentiellen Ernst“, heißt es in der Ausstellung. Wenn ich über damals nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass Ironie vielleicht auch eine Art Rettungsanker in einem teilweise sehr ernsten oder sogar bedrückenden Klima war.
Wir als Kinder der 1970er Jahre haben nämlich nicht nur das durchaus bunte Treiben der Jahre erlebt, die in der Ausstellung behandelt werden, sondern einige von uns haben parallel dazu auch noch eine sehr ernsthafte, teilweise von Kriegserfahrungen geprägte, mitunter enorm konservative oder gar reaktionäre Umgebung erlebt. Dabei wurde oft jedes Nicht-Einhalten von Regeln bestraft bzw. getadelt. Das Nicht-So-Ernst-Nehmen, das Brechen dieser strengen Atmosphäre mit Hilfe von ironischen Sprüchen, bot vielleicht auch eine Art Ventil und eine Erleichterung. Heutzutage meinen einige junge Leute möglicherweise, diese Art, sich lustig zu machen, wirke herabsetzend. Aber meinem Ehemonster gefällt es tatsächlich, wenn er so etwas wie das oben über sich liest… 😉
Was bedeutet Postmoderne?
Natürlich hatte ich diesen Begriff schon vorher gehört. Aber mir war irgendwie nicht wirklich klar, dass all das, womit ich aufgewachsen bin, also das quirlige, schrille 1980er-Jahre-Zeug dazugehört: von Aerobic bis zur Zeitschrift Tempo, von Boy George bis zu einer durch Las-Vegas-inspirierten Architektur.
Logisch ist die begriffliche Zuordnung: Nach der Moderne kam die Postmoderne. Die Moderne ist ja die Zeitepoche, die ich hier schon des Öfteren thematisiert habe, im Bereich Architektur folgte sie auf den Jugendstil und ist gekennzeichnet durch Funktionalismus („Form follows function“), Reduktion („Weniger ist mehr“) und der vorwiegenden Verwendung von Glas, Stahl und Beton. Mit anderen Worten: einer wunderbaren Schlichtheit, die – wie zum Beispiel bei den Bauten von Mies van der Rohe – auf mich einen unfassbar klaren, zeitlosen und eleganten Eindruck macht.
In der Ausstellung über die Postmoderne habe ich nun zum ersten Mal erfahren, dass die Moderne Ende der 1960er-Jahre als elitär abgelehnt wurde! Man wollte etwas Bodenständiges schaffen, das alle Stile und Epochen miteinander verband und „sowohl die Elite als auch den Mann auf der Straße ansprach“ (Ausstellungstext). Das Ergebnis war eine Art neuer Historismus, d.h. man griff auf alle Epochen und Stilrichtungen zurück und mixte sich etwas „Schönes“ zusammen. Kulturelle Aneignung pur sozusagen. Nun ja. Schön finde ich persönlich die Häuser, die damals entstanden, nicht wirklich. Ich bin ja auch ein Fan der Moderne und das, obwohl ich auch nur eine „Frau von der Straße “ bin. 😉
Ich möchte ein paar Bildbeispiele aus der Ausstellung zufügen, damit klar wird, was gemeint ist.
Postmoderne Architektur




Postmodernes Design
Auch im Design wurde viel herumexperimentiert, gemixt und zitiert. Ironie und Zitate spielten eine große Rolle damals.




Die Grenzen von gutem und schlechtem Geschmack verschwimmen in dieser Zeit. Viele mögen vielleicht die Explosion des Bunten, Exzentrischen und Vielfältigen und finden die Klarheit und Geradlinigkeit der Moderne schlicht langweilig. Jeder muss wohl für sich selbst entscheiden.
Die Postmoderne und ihre Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft
Soweit, so gut. Etwas komplexer wird es bei den wissenschaftlichen Werken, die damals entstanden:

1. Die amerikanische Philosophin Judith Butler schreibt 1989 in ihrem Buch „Gender Trouble“ über die „Queer Theorie“ (eine Theorie, die sich mit den Konstruktionen und Normen von Geschlecht und Sexualität auseinandersetzt. Judith Butler stellt die These auf, dass Geschlecht keine natürliche oder biologische Tatsache ist, sondern eine soziale und kulturelle Konstruktion, die durch Sprache, Diskurse und Handlungen erzeugt wird).
2. Der französische Philosoph Jacques Derrida entwirft 1967 seine drei Hauptwerke, in denen es um die Methode der Dekonstruktion geht, welche die Brüche und Widersprüche in Texten und Kunstwerken aufdeckt und so neue Interpretationen ermöglicht (Und genau diese Methode hat eben in der Postmoderne einen weitreichenden Einfluss auf alle Bereiche wie Philosophie, Architektur, Mode, Literatur und Pop-Musik. Und auf Judith Butler).
3. Der französische Philosoph Michel Foucault entwickelte die Diskursanalyse, welche wiederum ebenfalls Einfluss auf Judith Butlers Werk „Gender Trouble“ hatte. Hier findet man eine einfache Erklärung, worum es bei der Diskursanalyse geht.
All das ragt quasi von damals bis in unsere Gegenwart hinein. Jeder kennt die Diskussionen um Gendersternchen, Geschlechtsidentitäten usw.
1969 betritt der erste Mensch den Mond und das Fernsehen überträgt es. Die Medien „erwachen“ und das „Ich“ wird interessanter als die Politik. An die Stelle von Systemkämpfen tritt der Kampf um Selbstverwirklichung.

Kulturkampf statt Klassenkampf
Äußerst interessant finde ich den Gedanken, dass sich bereits damals die heutigen Gesellschafts-Konflikte abzeichnen.
Im Ausstellungstext steht: „Kultur für alle! heißt es ab Ende der 1970er-Jahre. Während der Sozialstaat rückgebaut wird, schießen Museen und Bibliotheken aus dem Boden. Die Idee ökonomischer Gerechtigkeit wird ersetzt durch kulturelle Teilhabe. Kultur wird zur Währung, die man haben muss. Vom gebildeten, weltläufigen Lebensstil und der Bejahung gesellschaftlicher Vielfalt fühlen sich viele ausgeschlossen. Sie fordern eine Rückkehr zu „traditionellen Werten“. Die Neue Rechte entsteht. (…) Hier liegen die Wurzeln heutiger Kulturkämpfe. Sie sind eine Folge dessen, was Soziolog* innen Kulturalisierung nennen: die Verlagerung politischer und ökonomischer Konflikte in Fragen von Lebensstil und Weltanschauung“ (Ausstellungstext).
Mit anderen Worten: Die Postmoderne birgt also letztlich bereits ein „sowohl als auch“ in sich, es gibt Vorteile und Nachteile gleichzeitig, wie immer. Es gibt eine neue Vielfalt auf allen Ebenen, aber gleichzeitig auch Menschen, die sich wiederum von dieser Vielfalt ausgeschlossen fühlen. Es gibt ein neues Bewusstsein für Identitäten, was aber auch zu einem Auseinanderdriften von Menschen führen kann. Einerseits schaffen es einige Gruppen, sich eine höhere Anerkennung und eine verbesserte soziale Stellung zu erkämpfen, anderseits ruft das bei anderen Gruppen eventuell das Gefühl der eigenen Benachteiligung hervor. Wer möchte, kann hier bei der Bundeszentrale für politische Bildung einen Artikel über Kulturalisierung lesen. Es ist ein wichtiges Thema, das uns dieser Tage alle betrifft, Stichwort Gefahr des Verlusts unserer Demokratie durch Rechtsextreme.
Dazu möchte ich noch sagen, dass ich die Perspektive bezüglich der „Kultur-für-alle-Bewegung“ interessant finde, dem aber nicht ganz zustimme. Ich habe als Kind in einer „Familie ohne Abitur“ viel von der Idee profitiert. Die kulturellen Angebote haben mir geholfen, meinen Horizont zu erweitern und mich zumindest ein bisschen aus dem „Gefängnis meiner Herkunft“ zu befreien. Aus meiner Sicht kann kulturelle Teilhabe die Grenzen zwischen „Oben und Unten“ durchaus verwischen. Natürlich sehe ich auch, dass es immer noch Ungleichheit und Ungerechtigkeiten gibt, aber wir müssen ja noch weiter an uns arbeiten können. Das Ende der Geschichte ist eben noch nicht erreicht. 😉
Das Ende der Geschichte

Wahnsinnig interessant fand ich am Schluss die Darstellung des Buchtitels von Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“, von dem ich ebenfalls noch nie gehört hatte. „Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der von ihr abhängigen sozialistischen Staaten bald die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden. Die Demokratie habe sich deshalb als Ordnungsmodell durchgesetzt, weil sie das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung relativ gesehen besser befriedige als alle anderen Systeme. Mit dem Sieg dieses Modells ende der Kampf um Anerkennung und es entfalle das Antriebsmoment der Geschichte“ (Wikipedia). Ähnlich habe ich damals auch gedacht bzw. die Grundstimmung empfunden. Heute muss man das ja belächeln, aber ich glaube, es gab diese Zeitspanne nach dem Mauerfall, wo einfach Optimismus und das Gefühl herrschte, dass „jetzt alles gut wird“, nie wieder Krieg kommt und die niederen Triebe sozusagen ein für alle Mal überwunden wären. Was natürlich ein Trugschluss war. Fukuyamas Theorie dazu kann man hier bei Wikipedia nachlesen.
Darüber hinaus waren viele weitere Exponate und Bilder aus den Bereichen Pop-Kultur, Mode und Film zu sehen.

Fazit: Es war eine äußerst interessante und anregende Ausstellung, die noch länger in mir nachhallen wird. Schade, dass nicht noch mehr Menschen in solche Ausstellungen gehen. Die meisten Museen sind heutzutage sehr bemüht darum, alle Menschen anzusprechen, also aus allen Gesellschaftsschichten. Manchmal kann man die Inhalte sogar in einfacher Sprache abrufen.
Wir können nämlich dabei so viel über uns lernen: unseren eigenen Standpunkt mal für eine kurze Zeit verlassen oder aus einer anderen Perspektive betrachten und dadurch vielleicht wieder mehr aufeinander zu gehen. Ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel auch ein kleines bisschen dazu beitragen.

