Rigaer Jugendstilzentrum

Das unter dem Namen Rigaer Jugendstilzentrum bekannte Jugendstil-Museum befindet sich in der Alberta iela 12. Es ist das Haus des Architekten Konstantīns Pēkšēns, welches ich bereits in Teil 2 als Haus Nr. 5 vorgestellt habe. Das Museum beherbergt eine Jugendstil-Wohnung im obersten Geschoss mit authentischem Interieur aus dem Jahr 1903. Beim Betreten des Flurs wird man sofort von der faszinierenden Wendeltreppe in den Bann gezogen, die mit beeindruckenden Wandmalereien verziert ist. Ich kann mir ein „Ahhh“ nicht verkneifen. 😉 Aber seht selbst:






Die Wohnung selbst ist zwar auch interessant, aber nicht ganz so spektakulär.






Im Bild oben kann man das Atelier des berühmten lettischen Malers, Janis Rozentāls (1866-1916) sehen, der hier gemeinsam mit seiner finnischen Ehefrau Ellis Forssell (1871-1943), einer Sängerin, lebte. Die ausgestellten Gegenstände, Möbel, Gemälde usw. wurden von der Familie Rozentāls aufbewahrt. Zwischen 1906 und 1908 lebte hier als Untermieter der lettische Schriftsteller Rūdolfs Blaumanis (1863-1908).
Von ihm hatte ich im Reiseführer gelesen. Gehörte er zum lettischen Untergrund, zur Widerstandsbewegung, die sich gegen die russische Herrschaft auflehnte?, frage ich mich. Zumindest würde es passen zu dem, was auf dem Infoblättchen des Museums steht: dass sich viele wichtige lettische und deutschbaltische Kulturleute in dieser Wohnung getroffen haben. Was genau hat es eigentlich mit den Deutschbalten auf sich… Hat es was damit zu tun, dass ein deutscher Bischof Riga gründete? Derselbe nach dem diese Straße – Alberta iela – benannt wurde? Eine Frage nach der anderen… Und vor allem: Auch hier ist keine Erklärung zu den unterschiedlichen Jugendstil-Formen Lettlands zu finden, Stichwort National-Romantik und eklektizistischer Jugendstil (Siehe Teil 1 und 2).

Das Museum bietet leider keinen Aufschluss darüber, aber auf der anderen Seite der Straße gibt es einen Souvenir-Shop, ob ich dort irgendetwas dazu finde?

Beim Betreten des Ladens möchte ich schon wieder laut „Oh und Ah“ rufen. Rechts neben der Tür befinden sich doch tatsächlich Jugendstil-Fliesen! Und auf der anderen Seite des Ladens liegen Bücher, meine ewige Rettung…
Jugendstil-Formen in Riga
Es gibt insgesamt drei Jugendstil-Richtungen in Riga, schreibt Professor Jānis Krastiņš von der Riga Technical University in seinem Buch „Art Nouveau Buildings in Riga“:
- Eklektizistisch-Dekorativer Jugendstil
- Senkrechter (Lotrechter) Jugendstil
- National-Romantischer Jugendstil
- Unter dem Eklektizistisch-Dekorativen Jugendstil versteht man genau das, was wir in der Alberta iela und der Elizabetes iela von Michail Eisenstein gesehen haben. Viel Chichi (allerlei Ornamente: Masken, florale Motive, fantastische Kreaturen oder geometrische Muster), das aber absolut keinen Bezug zur Architektur des Gebäudes hat und folglich von Weitem schwer von der Architektur der vorangegangenen Epoche, dem Historismus/Eklektizismus des 19. Jahrhunderts, zu unterscheiden ist! Und vor allem: Diese Art von Jugendstil ist nicht typisch für Riga!
- Unter dem Senkrechten Jugendstil (auch als Lotrechter Jugendstil bezeichnet in einigen Büchern) versteht man einen Unterstil, der nach 1907 aufkam und die vertikale Komposition der Fassade betonte, durch „stark gegliederte, mehrgeschossige Erkerfenster, profilierte, aufrechtstehende Zierleisten“ usw. Die Ornamente wurden „vollständig in die architektonische Grundform integriert und betonten gleichzeitig deren vertikale Komposition“. Mehr als ein Drittel der Rigaer-Jugendstil-Gebäude gehören zu diesem Unterstil!
- Unter der National-Romantik versteht man einen Unterstil, der zwischen 1905 und 1911 florierte. Lettische Architekten wollten einen nationalen Architekturstil erschaffen, der von lettischer Volkskunst, natürlichen Baumaterialien und einheimischer Architektur geprägt ist. „Sie zeichnen sich durch ein solides Erscheinungsbild, eine monumentale Würde, steile Dächer, Fensteröffnungen mit einem sich verjüngenden oberen Teil und eine eher zurückhaltend präsentierten und teilweise nach den Prinzipien der Jugendstil-Ästhetik reproduzierten Verzierung mit ethnografischen Motiven aus, also mit abgerundeten, gewundenen Mustern.“ Jedes dritte oder vierte Jugendstil-Gebäude kann diesem Unterstil zugerechnet werden. (Zitate aus „Art Nouveau Buildings in Riga“ von Jānis Krastiņš)
Au weia… habe ich überhaupt die wahre Bandbreite des Jugendstils in Riga erfasst? So wie ich das sehe, bin ich sozusagen auf den Aufsehen erregenden eklektizistischen Jugendstil des Herrn Eisenstein „hereingefallen“. Geahnt habe ich es zwar, aber habe mich dann dennoch durch das imposante Äußere ablenken lassen von der gesamten Vielfalt des Stils! Habe ich überhaupt Fotos von Häusern der Kategorie 2 und 3 gemacht?
Foto-Beispiele für die unterschiedlichen Jugendstil-Arten in Riga
- Eklektizistisch-Dekorativer Jugendstil: Gertrudes iela 10/12 (Architekten: Heinrich Scheel und Friedrich Scheffel, erbaut 1902)



Dieses Haus ist ein großartiges Beispiel für den eklektizistisch-dekorativen Jugendstil, schreibt Professor Jānis Krastiņš in seinem Buch „Art Nouveau Buildings in Riga“ (Dort werden nach der Einführung verschiedene Jugendstil-Häuser beschrieben). Der Architekt habe eine Vielzahl von Jugendstil-Skulpturelementen verwendet, die in einer gleichmäßig rhythmischen Komposition an der Fassade des Gebäudes angeordnet sind. Dazu gehören Fratzenmasken, geometrische Formen und florale Motive.
Es steht übrigens an einer netten Ecke, quasi gegenüber der St. Gertrud Kirche (Svētā Ģertrūdes baznīca). Auch ein Besuch der Umgebung lohnt sich. Entlang der Valdemāra iela und Brīvības iela befinden sich mehrere interessante Jugendstil-Gebäude. Leider habe ich erst später entdeckt, dass sie alle auf der Webseite jugendstils.riga.lv beschrieben werden und auf einer Karte eingezeichnet sind.


2. Senkrechter (Lotrechter) Jugendstil: Rūpniecības iela 3 (Architekt: Konstantīns Pēkšēns, erbaut 1908)
Bedauerlicherweise habe ich tatsächlich kein einziges Haus des vertikalen Stils fotografiert. 😦 Hier kann man ein typisches Beispiel sehen, unter der Nummer 11 (Apartment building, Rūpniecības Street 3) Dort heißt es: „Die eleganten und ornamentalen Reliefs sind vollständig Teil der architektonischen Grundgestaltung der Fassade“.
3. National-Romantischer Jugendstil: Brīvības iela 62 (Architekt: Eižens Laube, erbaut 1908)

Hier haben wir dekorative Reliefs mit ethnografischen lettischen Motiven, die Architektur und Bildhauerei symbolisieren. Die Fassade zeichnet sich durch eine ungleichmäßige Anordnung aus, mit unterschiedlich hohen Giebeln und Erkern. Das Haus ist ein Beispiel für die National-Romantik.


Infos
- Jugendstils.riga.lv: Das ist die zentrale Seite für alle, die in Riga auf Jugendstil-Spuren wandeln wollen! Hier gibt es Informationen zum Museum und hier sind Routen ausgewiesen (plus Beschreibungen einzelner Häuser). Bitte nicht wie ich erst hinterher entdecken! 😉

