Ausstellungstipp: „Para-Moderne. Lebensreformen ab 1900“ in der Bundeskunsthalle in Bonn (noch bis zum 10.08.2025)

Es gibt ja kaum etwas Schöneres, als an einem ganz normalen Sonntagnachmittag mit dem Grumpy Hubby einen Ausflug zu machen und noch im Museum „einzukehren“. Diesmal habe ich sogar ein bisschen darauf hingefiebert, denn das Thema der Ausstellung behandelt mit der Jahrhundertwende genau jene Zeitperiode, für die mein Hobby-Kunsthistorikerinnen-Ich ja eine besondere Schwäche hat. Darüber hinaus empfinde ich die Ausstellungen in der Bundeskunsthalle in Bonn immer als besonders bereichernd. Wie bei meinem letzten Besuch („Alles auf einmal – Die Postmoderne“) wird auch diesmal eine gesamte Zeitströmung dargestellt und nicht nur eine einzelne Künstlerin oder ein Künstler in den Fokus gerückt.

Allerdings gab es eine etwas seltsame Begebenheit beim Einlass: Der Kontrolleur fragte Grumpy Hubby etwas übermütig, ob er das erste Mal hier sei. „Nein, wie kommen Sie darauf?“ „Na, Sie halten das Ticket so unprofessionell unter den Scanner“, erwiderte er feixend, offensichtlich als kleiner Scherz gemeint. Grumpy Hubby konterte souverän mit einem lockeren Spruch („Ich hätte nicht gedacht, dass Sie hier schon ein so modernes Einlassmanagement haben“), aber ich dachte nur: Die Gefahren lauern überall…

Bundeskunsthalle Bonn Ausstellung Para-Moderne

Was bedeutet Para-Moderne?

Doch worum geht es in der Ausstellung eigentlich? Was meinen die Ausstellungsmacher eigentlich mit Para-Moderne? Man muss sich das folgendermaßen vorstellen: Um das Jahr 1900 herum befinden wir uns ja noch mitten in der Wilhelminischen Epoche, also der Zeit Kaiser Wilhelms des Zweiten. Das war der mit dem Faible für Militarismus und Marine, für Nationalismus und Repräsentationsarchitektur.

Nun habe ich ja schon häufiger erwähnt, dass einige Menschen damals in ästhetischer Hinsicht keine Lust mehr auf den damals herrschenden Historismus hatten (dem Rückgriff auf alte Stilrichtungen wie Barock, Renaissance oder Gotik) und im Bereich der Architektur und der Kunst nach neuen Wegen suchten, woraus sich der Jugendstil, die „Art Nouveau“, entwickelte. Zeitgleich strebten offenbar auch viele junge Menschen nach anderen Lebensformen außerhalb der strengen Normen ihrer Zeit. Mit „Para-Moderne“ ist also eine Gegenbewegung innerhalb der Moderne gemeint. Einige Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren Generation um 1900 wandten sich gegen die Industrialisierung, den Kapitalismus oder die Zwänge des bürgerlichen Lebens. Sie entwarfen andere Lebensmodelle, wollten zurück zum Ursprünglichen, zur Natur, sie gründeten Aussteigerkolonien wie den Monte Verità in der Schweiz.

Ist das nicht wahnsinnig fortschrittlich gewesen in einer Zeit, in der Frauen mit Korsettkleidern herumliefen? Ich finde es jedenfalls total faszinierend. Manche Historiker betrachten es allerdings nicht als fort-, sondern als rückschrittlich. Klar, wer in einfachen Hütten wohnt, ohne die Errungenschaften des technischen Fortschritts, kann theoretisch als unzeitgemäß gesehen werden. Spannend, dass man es sowohl so als auch so betrachten kann, oder?

Hermann Hesse, verschiedene Aquarelle, 1925

Auf dem Monte Verità, einem Berg in der Schweiz, taten sich beispielsweise sechs junge Menschen aus der bürgerlichen Gesellschaft aus München zusammen und gründeten eine Siedlungsgemeinschaft auf vegetarischer Grundlage. Viele weitere Künstler, Anarchisten und andere Aussteiger zog es im Laufe der Zeit dorthin. Käthe Kruse entwarf hier ihre erste Puppe und auch Hermann Hesse schlug hier für eine Weile auf. Und all diese Reformbewegungen werden unter dem Begriff „Lebensreform“ zusammengefasst, der der Ausstellung den Namen gibt.

Themen der Ausstellung

Die Ausstellung beleuchtet die unterschiedlichen Menschen dieser Bewegung und ihre Ideen, die sie damals verfolgten: Vegetarische Ernährung, Abschaffung des Patriarchats, luftigere Kleidung bzw. gar keine Kleidung (Höhepunkt der Ausstellung ist das Jugendstil-Gemälde „Nuda Veritas“ von Gustav Klimt), Kunst als Ausdrucksmittel (Sprache, Tanz) usw. Interessant finde ich, dass auch dargestellt wird, wie manche Menschen bei ihrem Suchen nach andersartigen Lebensformen in Extreme abdrifteten, zum Beispiel in völkische/antisemitische Ideologien . Auch esoterische Konzepte waren damals weit verbreitet. Helena Petrova Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, schwebt in der Ausstellung im Kunstwerk der Künstlerin Goshka Macuga eindrucksvoll über zwei Stühlen.

Madame Blavatsky, Goshka Macuga, 2007

Parallelen zur Hippie-Bewegung

Interessanterweise schlägt die Ausstellung dann einen Bogen zur amerikanischen Hippie-Bewegung. Die Ähnlichkeiten sind tatsächlich frappierend. Allein wie Karl Wilhelm Diefenbach, der mit als Urvater der Lebensreform gilt, aussah: die zotteligen langen Haare, der Bart -, alles erinnert stark an den späteren Hippie-Look. Und natürlich ähneln sich auch die Ideale: Gesunde Ernährung und Wellness, was uns ja heute noch als besonders modern und fortschrittlich verkauft wird, wurden bereits ab 1958 im „Back to Nature Health Hut“ von dem 1915 geborenen Robert Bootzin (genannt „Gypsy Boots“) propagiert (dort wurden beispielsweise Sojabohnen und Seetang serviert).

Nature Boys

Doch schon in den 1920er-Jahren wanderte Friedrich Wilhelm Pester von Borna bei Leipzig nach Kalifornien aus und lebte dort in einer selbstgebauten Hütte bei Palm Springs. Er kam aus dem Umfeld der Lebensbewegung und inspirierte andere junge Männer dazu, nachts in den Höhlen der Canyons zu schlafen und tagsüber die Naturkostläden von Los Angeles aufzusuchen. Sie wurden als „Nature Boys“ bezeichnet. Einer von ihnen, Eden Ahbez, komponierte den Song „Nature boy“, der 1948 von Nat King Cole gesungen, ein Nummer-Eins-Hit wurde. Unzählige Coverversionen folgten.

Nature Boy Songs

Jugendstil-inspirierte Plakatkunst

Und dann gibt es zum Schluss noch ein weiteres Highlight: Und zwar fand 1965 in einer Galerie in Berkeley die Ausstellung „Jugendstil and Expressionism in German Posters“ statt. Diese inspirierte offenbar die Plakatgestalter der legendären Konzertsäle „Avalon Ballroom“ und „Fillmore Auditorium“ in San Francisco. Denn sie schufen z.B. für die Bands Jefferson Airplane oder The Doors eine völlig neue Ästhetik, die große Parallelen zum Jugendstil aufweist. Man kann das hier im Vergleich der beiden Plakate gut sehen. Das eine stammt vom Jugendstil-Künstler Alphonse Mucha, das andere von den etwa siebzig Jahre später tätigen Designern Alton Kelley und Stanley Mouse.

Und was ist nun Grumpy Hubbys Fazit? Trotz kleinerer, anfänglicher Hindernisse? Er meint: „Eine inspirierende, spannende und immer wieder auch verblüffende Ausstellung, die nicht nur unterhaltsam ist, sondern einem auch vieles zu Denken mitgibt!“

Infos

Hinterlasse einen Kommentar

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑